ADHS bei Erwachsenen erkennen und behandeln
Lange wurde ADHS (kurz für Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) vor allem mit verhaltensauffälligen Kindern in Verbindung gebracht. Heute erhalten jedoch immer öfter auch Erwachsene eine ADHS-Diagnose. Doch warum ist das so? Was sind typische ADHS-Symptome? Und welche Möglichkeiten zur Behandlung gibt es?
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1.Wie entsteht ADHS?
Wie entsteht ADHS?
ADHS ist eine psychische Erkrankung, genauer gesagt eine neurobiologische Entwicklungsstörung, die oft zwischen dem siebten und 12. Lebensjahr, spätestens jedoch im Jugendalter auftritt. Wodurch genau sie entsteht, ist noch nicht abschließend geklärt. Man vermutet jedoch, dass eine genetische Veranlagung, verschiedene Umweltfaktoren sowie ein Mangel von Neurotransmittern im Gehirn (beispielsweise Dopamin) zu den Ursachen der Störung gehören.
Während Hyperaktivität lange als primäres Anzeichen für ADHS galt, weiß man heute, dass sich das Syndrom durch eine Vielzahl verschiedener Symptome äußert, die bei den betroffenen Personen unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. ADHS ist demnach keine Störung, die man als Erwachsener erwirbt oder entwickelt. Denn Erwachsene, die mit ADHS diagnostiziert werden, litten bereits als Kinder oder Heranwachsende daran, jedoch ohne dass das Syndrom als solches erkannt wurde.
Doch gerade weil das Bewusstsein um die Komplexität der ADHS-Symptomatik in den vergangenen Jahren gestiegen und psychische Erkrankungen inzwischen weniger stigmatisiert sind als früher, wird das Syndrom heute immer öfter auch bei Erwachsenen festgestellt. Laut Robert Koch-Institut haben etwa fünf Prozent der erwachsenen Menschen in Deutschland ADHS, wobei die Dunkelziffer vermutlich deutlich höher liegt.
ADHS-Symptome: Unterschiede bei Erwachsenen und Kindern
Längere Zeit gingen Forscher und Forscherinnen davon aus, dass ADHS eine Kinderkrankheit sei, deren Symptome im Erwachsenenalter abnehmen. Mittlerweile weiß man aber, dass nur etwa 20 Prozent der Personen, die in der Kindheit eine ADHS-Diagnose erhalten, die Symptome als Erwachsene ganz verlieren.
Bei den meisten ADHS-Patienten und -Patientinnen ändern sich die Symptome allerdings, wenn sie erwachsen werden: Während sich ADHS bei Kindern oft vor allem durch Impulsivität und motorische Unruhe, also Zappeln oder starken Bewegungsdrang äußert, nimmt die hyperaktive Komponente im Erwachsenenalter in der Regel ab.
Fitmacher Podcast: ADHS bei Erwachsenen
ADHS bringt Herausforderungen, aber auch besondere Stärken mit sich. Dr. Max Witry ist Neurologe am Universitätsklinikum Bonn und erklärt uns, wie sich ADHS bei Erwachsenen äußert, welche Herausforderungen im Alltag (Beruf, Beziehungen, Selbstorganisation) zu meistern sind und welche Strategien helfen können.
Auswirkungen im Beruf und Privatleben
Erwachsene Betroffene haben stattdessen vor allem mit
- Konzentrationsproblemen,
- Vergesslichkeit
- und innerer Unruhe zu kämpfen.
Es fällt ihnen daher schwer, strukturiert oder lange an einer Aufgabe zu arbeiten, Termine oder Absprachen im Kopf zu behalten und äußere Reize wie Lärm auszublenden.
Denn Menschen mit ADHS haben eine besondere Art zu denken, da ihr Gehirn Informationen anders aufnimmt. So benötigt es mehr Zeit, um Reize aus verschiedenen Sinneskanälen, darunter auditive und visuelle Impulse, zu verarbeiten. Das erklärt auch, warum sich Menschen mit ADHS von Nebengeräuschen, beispielsweise Telefonklingeln oder Gesprächen anderer am Arbeitsplatz, oft extrem gestört fühlen.
Auch impulsive Gefühlsausbrüche, Affektentscheidungen und Ungeduld zählen zu den ADHS-Kernsymptomen. Aufgrund dieser Defizite wird die Störung bei ADHS-Patienten und -Patientinnen sowohl im Berufs- als auch im Privatleben häufig zum Problem: Viele Arbeitsumfelder und berufliche Tätigkeiten sind nicht auf die Bedürfnisse von Menschen mit ADHS ausgerichtet, wodurch deren Konzentrations- und Organisationsprobleme schnell mit mangelnder Kompetenz oder Disziplin verwechselt werden.
Andere Symptome, wie Stimmungsschwankungen oder das Vergessen von Verabredungen, können aber ebenso für Konflikte im privaten Leben sorgen. Unter bestimmten Umständen kann es zudem zu einer Verschlimmerung der Symptome kommen.
Je eintöniger und unstrukturierter beispielsweise ihr Umfeld ist, desto mehr treten bei ADHS-Betroffenen Vergesslichkeit, Motivations- und Konzentrationsstörungen auf. Auch körperliche Einschränkungen und mangelnde Bewegung können zu einer Verschlimmerung der Anzeichen führen.
AHDS hat auch positive Seiten
Medizinisch gesehen handelt es sich bei ADHS zwar um eine psychische Störung, die mit vielen Defiziten einhergeht. Doch weiß man heute, dass viele Betroffene auch über besondere Ressourcen verfügen, die ebenfalls mit der Störung zusammenhängen. Denn während Unruhe, Vergesslichkeit oder Ungeduld eher zu den Schattenseiten von ADHS zählen, zeichnen sich Patienten und Patientinnen ebenso oft durch
- Kreativität,
- Belastbarkeit,
- Empathie,
- Energie
- und Enthusiasmus aus.
Zudem ist es ihnen unter bestimmten Umständen durchaus möglich, sich länger hoch konzentriert einer Tätigkeit zu widmen: „Wenn ADHSler sehr motiviert sind, können sie Dinge auch sehr gründlich erledigen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von Hyperfokus“, erklärt Dr. Max Witry, Neurologe am Universitätsklinikum Bonn im Fitmacher-Podcast. Wenn ADHS-Patienten und -Patientinnen mit Hyperfokussierung an einer Aufgabe arbeiten, vergessen sie oft alles um sich herum, können problemlos lange Zeiträume ohne Pausen verbringen und auf diese Weise beeindruckende Leistungsergebnisse erzielen.
Wie wird ADHS bei Erwachsenen festgestellt?
Betroffene Personen, die nicht wissen, dass sie ADHS haben, halten sich oft selbst für unfähig und leiden unter ihrer vermeintlichen Unzulänglichkeit. Die Diagnose als Erklärung für ihre Schwierigkeiten ist für viele daher in der Regel eine große Erleichterung und darüber hinaus oft der Schlüssel zu einer erfolgreichen Behandlung.
Die erste Anlaufstelle für Personen, die glauben, ADHS zu haben, ist der Neurologe oder die Neurologin. Diese nutzen spezielle Checklisten oder Fragebögen, zum Beispiel die sogenannte „Wender-Utah-Rating-Scale“, um bei Erwachsenen rückblickend die Diagnose für ADHS stellen zu können.
Welche Kriterien genau auf diesen Checklisten abgefragt werden und wie viele von ihnen man erfüllen muss, um tatsächlich mit der Störung diagnostiziert zu werden, erklärt Dr. Max Witry im Fitmacher-Podcast. Wichtig ist, dass die Symptome alltagsrelevant sind, also die Person im täglichen Leben merklich beeinträchtigen.
Eine offizielle ADHS-Diagnose ist Voraussetzung dafür, dass Ärzte und Ärztinnen weitere Therapien wie ADHS-Medikamente verordnen dürfen. Wichtig ist zudem, andere Erkrankungen auszuschließen, die ähnliche Symptome wie ADHS verursachen können. Denn andere psychische Störungen wie Depressionen, Borderline-Syndrom oder Autismus, aber auch eine Schilddrüsenüber - oder -unterfunktion können sich durch ähnliche Anzeichen äußern.
Auch wenn ADHS-Tests aus dem Internet für eine erste Selbsteinschätzung hilfreich sein können, sollten die Ergebnisse solcher Tests immer von Fachpersonal abgeklärt werden, um Fehldiagnosen zu verhindern und die korrekte Therapieform anordnen zu können.
ADHS wird bei Frauen oft nicht erkannt
Was im Hinblick auf die ADHS-Diagnostik bei Erwachsenen auffällt, ist, dass Frauen immer noch deutlich seltener mit der Störung diagnostiziert werden als Männer. Dies liegt daran, dass die Diagnosekriterien für ADHS immer noch primär auf Jungen ausgerichtet sind, wodurch Mädchen bereits in der Kindheit oft durch das Raster fallen.
Während Jungen oft durch stereotypisches ADHS-Verhalten wie hyperaktive und impulsive Tendenzen auffallen, zeigen Mädchen meist eher unauffälligere Symptome wie Unaufmerksamkeit, Verträumtheit oder Vergesslichkeit, die entweder nicht als Ausdruck von AHDS erkannt oder als Teil ihrer Persönlichkeit gewertet werden.
Motorische Unruhe tritt bei Mädchen nur selten auf, was laut Experten und Expertinnen unter anderem auf geschlechtsspezifische Rollenbilder zurückzuführen ist: Da wildes Herumtoben und Lautsein bei Mädchen weniger akzeptiert wird, versuchen sie häufig, dieses Verhalten durch hohe Anpassung und Perfektionismus zu kompensieren.
So kommt es, dass sich die ADHS-Symptome bei Mädchen nach innen richten und die Hyperaktivität beispielsweise zur inneren Unruhe wird. Aufgrund dieser Internalisierung ihrer Schwierigkeiten leiden auch erwachsene Frauen mit ADHS oft an Selbstzweifeln, Depressionen und Ängsten, wodurch sie wiederum oft mit anderen Störungen fehldiagnostiziert werden.
Wie kann man ADHS behandeln?
Ich sehe die ADHS nicht als schlimme Erkrankung, sondern vielmehr als eine Persönlichkeitsvariante.
ADHS ist zwar nicht heilbar, lässt sich heute jedoch durch verschiedene Therapiemöglichkeiten effektiv behandeln. Eine frühzeitige, korrekte Diagnose ist für Betroffene der wichtigste Schritt, um gezielt Hilfe zu erhalten. Zudem gilt auch: Wer seine Erkrankung versteht, findet eher Wege, um mit ihr umzugehen. „Ich sehe die ADHS nicht als schlimme Erkrankung, sondern vielmehr als eine Persönlichkeitsvariante. Ich denke, mit der richtigen Einstellung und Verhaltensanpassung kann man lernen, sehr gut damit zu leben. Man kann sogar lernen, die positiven Seiten und seine Stärken zu entdecken“, so Dr. Witry.
Zu den gängigsten Therapie-Ansätzen gehören medikamentöse Behandlungen, etwa der Einsatz von Stimulanzien oder nicht-stimulierenden Medikamenten, welche die Konzentration und Impulskontrolle verbessern sollen. Ob eine medikamentöse Therapie ratsam ist, wird jedoch immer individuell mit dem entsprechenden Arzt oder der Ärztin besprochen.
Ergänzend zur medikamentösen Therapie wird meist eine Verhaltenstherapie empfohlen. Diese vermittelt ADHS-Patienten und -Patientinnen Strategien, um ihren Alltag besser zu organisieren, Stress abbauen und individuelle Herausforderungen meistern zu können. Auch spezielles Coaching für Erwachsene mit ADHS kann hilfreich sein, um praktische Lösungen für berufliche und private Probleme zu entwickeln.
Manche Betroffene profitieren zudem von der Teilnahme an Selbsthilfegruppen, in denen sie sich mit anderen Betroffenen austauschen können. Doch auch ein gesunder Lebenswandel kann den Therapieerfolg maßgeblich unterstützen: So können sich eine ausgewogene Ernährung und ausreichend Schlaf positiv bei ADHS auswirken.
Regelmäßige körperliche Aktivität gilt ebenfalls als förderlich, da sie die Dopamin-Ausschüttung fördert und Erwachsene mit ADHS häufig einen Dopamin-Mangel haben. „Gerade Menschen, die eine hyperaktive ADHS haben, profitieren extrem von Sport, insbesondere von Ausdauersport. Er ist für sie oft die Erlösung von der inneren Unruhe“, berichtet Dr. Witry.
„Eine meiner Patientinnen ist jahrelang Extremsportlerin gewesen und ist super in ihrem Leben zurechtgekommen. Aufgrund orthopädischer Probleme musste sie jedoch mit dem Sport aufhören, und da ist ihre ADHS aufgetreten. Die hatte sie nur jahrelang mit Sport erfolgreich kompensiert.“
Welche Maßnahmen zur Behandlung von ADHS-Symptomen hilfreich und sinnvoll sind, kann von Mensch zu Mensch variieren. Durch eine individuell abgestimmte Behandlung lässt sich die Lebensqualität von Erwachsenen mit ADHS in der Regel jedoch deutlich steigern.