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Datum:02.06.2022 - Kategorie:Gesundheit
Lesedauer:ca. 7 Min.

Die Ursachen einer Autoimmunerkrankung und ihre Behandlung

Rheuma, Typ-1-Diabetes, Multiple Sklerose: Bei Autoimmunerkrankungen schießt unsere Abwehr über das Ziel hinaus. Warum aber rebelliert das Immunsystem gegen den eigenen Körper? Ein Interview mit Prof. Dr. Dieter Kabelitz, Immunologe und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Autoimmun-Stiftung.

Herr Prof. Dr. Kabelitz, eine Autoimmunerkrankung – was genau ist das eigentlich?

Bei einer Autoimmunerkrankung reagiert das Immunsystem zu stark. Eine zentrale Rolle spielen hier die T- und B-Lymphozyten. Diese Immunzellen sind wichtig, weil sie Krankheitserreger erkennen und beseitigen. Bei Autoimmunerkrankungen allerdings greifen sie körpereigene Zellen an und bilden Antikörper. In der Folge kommt es zu entzündlichen Prozessen in einzelnen oder mehreren Organen.

Worin liegen die Ursachen für Autoimmunerkrankungen?

Die meisten Erkrankungen entstehen durch das Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Dazu können Umwelteinflüsse wie chemische Stoffe oder Feinstaub zählen, aber auch die Folgen von Infektionen mit bestimmten Erregern. Aktuell diskutiert man zum Beispiel den Zusammenhang mit dem Epstein-Barr-Virus (auch Pfeiffer’sches Drüsenfieber genannt, Anm. d. Red.).

Warum gibt es immer mehr Fälle?

Insgesamt leiden etwa fünf Prozent der Bevölkerung an einer Autoimmunerkrankung. Die Häufigkeit chronisch entzündlicher Erkrankungen hat im letzten Jahrhundert stark zugenommen. Vermutlich tragen veränderte Lebensgewohnheiten zu dieser Entwicklung bei, weil sie Entzündungen im Körper begünstigen können. Dazu gehören eine zucker- und fettreiche Ernährung, übermäßiger Alkoholkonsum, Rauchen und Stress. Auch übertriebene Hygiene kann schädlich sein, da das Immunsystem nicht genügend gefordert wird und in der Folge zu Überempfindlichkeit neigt.

Spielen auch die Gene eine Rolle?

Ja, hier sind insbesondere die HLA-Gene (Proteine, durch die das Immunsystem zwischen eigenem und fremdem Gewebe unterscheiden kann, Anm. d. Red.) zu nennen, weil sie bei bestimmten Autoimmunerkrankungen in Erscheinung treten. Träger des HLA-B27-Gens zum Beispiel haben ein etwa 90-fach höheres Risiko, an der Wirbelsäulenerkrankung Morbus Bechterew zu erkranken.

Wer ist besonders häufig betroffen von Autoimmunerkrankungen?

Grundsätzlich kann es jeden treffen. Einige Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose treten allerdings bis zu 2,5-mal häufiger bei Frauen auf als bei Männern. Hier spielen die weiblichen Geschlechtshormone eine wichtige Rolle. Sie machen das Immunsystem der Frauen aktiver, aber auch anfälliger für Überreaktionen.

Wie erkenne ich, ob ich eine Autoimmunerkrankung habe?

Das hängt vom betroffenen Organ ab. Bewegungs- und Gefühlsstörungen können frühe Anzeichen einer Multiplen Sklerose sein. Gelenkschmerzen geben Hinweise auf eine rheumatische Erkrankung. Stoffwechselstörungen wie Überzuckerung oder vermehrtes Schwitzen oder Herzrasen deuten auf Typ-1-Diabetes oder eine Schilddrüsenerkrankung hin.

Gibt es Möglichkeiten, vorzubeugen?

Sport, ausreichend Bewegung sowie gesunde und ausgewogene Ernährung helfen, das Immunsystem fit zu halten. Übermäßiger Alkoholkonsum und Rauchen wiederum schaden ihm und können Autoimmunerkrankungen fördern. Heilen aber kann man eine Autoimmunerkrankung auch mit keiner gesunden Lebensweise.

Welche Therapien gewährleisten denn ein möglichst beschwerdefreies Leben?

Autoimmunerkrankungen werden meist medikamentös behandelt – mit dem Ziel, die Entzündung zu kontrollieren. Kortison, Calcineurin- oder Zellteilungshemmer bremsen das Immunsystem. Auch sogenannte „Biologicals“ helfen seit einigen Jahren: Diese zumeist künstlich erzeugten Antikörper neutralisieren bestimmte Botenstoffe im Körper. Dank solch moderner Medikamente kann man Autoimmunerkrankungen meist gut in den Griff bekommen – heilen aber kann man sie nicht.


Was sind die häufigsten Autoimmunerkrankungen?

  • Rheuma: Weil Abwehrzellen die Gelenkinnenhäute angreifen, können sich die Gelenke, Hände und Füße entzünden, anschwellen und steif werden.
  • Schuppenflechte (Psoriasis): Eine erbliche Erkrankung, bei der die Haut entzündlich gerötet wird, schuppt und juckt. Tritt oft auf dem Kopf und im Gesicht auf und kann mit Pusteln und entzündeten Gelenken einhergehen.
  • Entzündliche Darmerkrankungen: Bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn greift die Abwehr die Darmschleimhaut an. Erkrankte klagen über Bauchkrämpfe und blutige Durchfälle.
  • Multiple Sklerose: Die im Gehirn und Rückenmark verstreut auftretenden Entzündungen führen zu Kribbeln oder Taubheitsgefühlen in den Armen und Beinen. Kranke sind oft müde und erschöpft.
  • Typ-1-Diabetes: Weil die Bauchspeicheldrüse angegriffen wird, kann sie kein Insulin produzieren. Betroffene müssen täglich Insulin spritzen, um den Blutzuckerspiegel zu regulieren. Die Beschwerden reichen von häufigem Wasserlassen bis Übelkeit, Schwindel und Antriebsschwäche.

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