Empty-Desk-Syndrom: Wie wir den Ruhestand mit Sinn füllen
Das Empty-Desk-Syndrom: Ein Gefühl der Leere, Langeweile und die Angst vor dem Bedeutungsverlust. Der Übergang in den Ruhestand kann Menschen in tiefe Krisen stürzen. Die Trainerin Ingrid Mayer-Dörfler erklärt, wie ein reibungsloser Eintritt in die Rente gelingt.
Frau Mayer-Dörfler, was versteht man unter dem Empty-Desk-Syndrom?
Das Empty-Desk-Syndrom beschreibt eine emotionale Krise, die viele Menschen durchmachen, wenn sie aus dem Berufsleben ausscheiden. Es betrifft hauptsächlich Menschen, die ihre berufliche Identität stark mit ihrem Selbstwertgefühl verknüpfen und Schwierigkeiten haben, ihre neue Rolle als Ruheständler zu akzeptieren.
Warum tun sie sich so schwer mit der neuen Rolle?
Die Arbeit ist ein wichtiger Teil des Lebens. Sie gibt den Tagen Struktur, einen Sinn und ein Ziel – und plötzlich fehlen diese Dinge. Zudem ist die berufliche Identität oft eng mit sozialen Kontakten und einer gewissen Anerkennung verbunden, die nun verloren gehen können. Leichte Anpassungsprobleme an die neue Lebensphase sind sicher normal.
Wann wird es problematisch?
Wenn es zu länger anhaltenden psychischen Problemen kommt. Dazu zählen zum Beispiel Gefühle der Leere und Hilflosigkeit, mangelnde soziale Kontakte, Antriebslosigkeit, Schlafstörungen und depressive Verstimmungen bis hin zu Depressionen. Auch Konflikte mit dem Partner, Familie und Freunden kommen häufig vor, weil Beziehungen neu aufgestellt werden müssen.
Haben Sie Tipps, wie man diesen Problemen vorbeugen kann?
Eine gute Vorbereitung ist das A und O. Es ist wichtig, sich schon vor Beginn des Ruhestands wichtige Fragen zu stellen: Wer bin ich ohne meinen Beruf und was macht mich aus? Woran habe ich Freude? Wie steht es um mein soziales Netz? Es geht darum, die neue Rolle anzunehmen und Aktivitäten zu finden, die dem Alltag einen Sinn verleihen.
Was für Aktivitäten können das sein?
Es gibt viele Möglichkeiten, den Ruhestand aktiv zu gestalten – vorausgesetzt, man ist körperlich und geistig fit genug. Wer im Berufsleben gerne Verantwortung übernommen hat, kann ein Ehrenamt ausüben. Neugierige Menschen können ein Studium aufnehmen oder eine neue Sprache lernen. Manche verbringen viel Zeit mit Familie und Freunden oder finden die Erfüllung in neuen Hobbys, Reisen oder Sport. Auch in Teilzeit weiterzuarbeiten und Geld hinzuzuverdienen, kann eine Option sein. Im Kern geht es darum, eine Übergangskompetenz zu entwickeln.
Was ist damit gemeint?
Wer das eigene Leben aus gewisser Distanz betrachtet, sieht, wie viele Übergänge er oder sie bereits gemeistert hat. Diese Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ermöglicht neue Perspektiven, zum Beispiel das Wiederaufleben alter Träume oder die Entdeckung neuer Ziele.
Was können Angehörige und Freunde tun, um Betroffene zu unterstützen?
Es ist wichtig, Geduld und Verständnis zu zeigen und anzuerkennen, wie herausfordernd der Eintritt in den Ruhestand sein kann. Man sollte aktiv zuhören und offen über Gedanken und Gefühle sprechen. Vielleicht entstehen aus diesen Gesprächen sogar neue Ziele und Pläne für den Ruhestand. Darüber hinaus kann es helfen, die Betroffenen zu gemeinsamen Aktivitäten zu ermutigen, damit sie soziale Kontakte knüpfen und ihr Selbstwertgefühl stärken.
Und wenn das alles nicht hilft?
Wer über mehrere Monate hinweg mit den Veränderungen nicht zurechtkommt, riskiert Depressionen und Angstzustände. In solchen Fällen ist es wichtig, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Hilfe findet man zum Beispiel bei Psychologen, Psychotherapeuten, Selbsthilfegruppen und spezialisierten Beratungsstellen. Auch hier können Angehörige und Freunde helfen, indem sie Betroffene zum ersten Schritt motivieren und ihnen während des Behandlungsprozesses zur Seite stehen.