Angst vor der Geburt: Wie werdende Mütter sich vorbereiten können
Nach einer schweren Geburt mit Geburtsverletzungen haben viele Frauen Angst vor einer weiteren Entbindung. Davor, ähnlich schlechte Erfahrungen zu machen. Die Hebammen Alexandra Löschen und Jule Schuld erklären, warum die zweite Geburt viel positiver verlaufen kann und wie sich Frauen in der Schwangerschaft gut vorbereiten, damit sie eine gute Erfahrung machen.
Die Geburt unseres Sohnes war schnell und für mich traumatisch. Um 1 Uhr waren wir in der Klinik, um 2.42 Uhr war er da. Ich hatte mir vorgenommen, keine Schmerzmittel zu nehmen. Weil meine Mutter uns drei Geschwister so bekommen hatte und ich dachte: „Das kann ich auch.“ Und weil die Schmerzmittel in den Körper des Kindes gelangen und die Babys nach der Geburt oft lethargisch sind. Die Gebärende schüttet unter Medikamenten weniger Endorphin aus – ein natürliches Schmerzmittel. Dadurch erleidet das Baby mehr Schmerzen während der Geburt.
Angst vor der nächsten Wehe
Bis dahin hatte ich gedacht, dass ich Schmerzen relativ gut aushalten könne. Und wurde eines Besseren belehrt. Die Wehen kamen so schnell hintereinander, dass ich mich dazwischen nicht erholen konnte. Ich hatte panische Angst vor der nächsten Wehe. Dann versiegten die Wehen auf einmal. Die Hebamme sah schon die Haare des Kindes, doch der Kopf steckte im Geburtskanal fest. Ich merkte, er passt nicht durch mich hindurch. Und dachte, ich schaffe es nicht.
Es ploppte laut, als ich riss
Die Herztöne des Babys gingen hoch. „Du musst pressen!“, sagte die Hebamme. Ich presste, mit aller Kraft. Da drückte mir der Arzt von oben auf den Bauch. Er schob das Kind herunter, um es schnell zur Welt zu bringen. In einer Phase, in der GeburtshelferInnen die Gebärende häufig anhalten, innezuhalten, damit die Haut Zeit hat, sich zu dehnen, weil der Scheideneingang durch den Kopf des Babys maximal gedehnt wird, drückte der Arzt den Kopf schnell aus mir heraus. Es ploppte laut, als meine Scheide und eine Schamlippe rissen. Der Arzt nähte beides unter örtlicher Betäubung wieder zusammen. Noch ein halbes Jahr später hatte ich Schmerzen beim Sex.
„Werde ich wieder reißen?“, frage ich mich
Nun bin ich mit dem zweiten Kind schwanger und habe ein mulmiges Gefühl. „Werde ich wieder an der gleichen Stelle reißen?“, frage ich mich. „Das kann sein, muss aber nicht“, sagt Alexandra Löschen. Die 43-Jährige betreibt mit fünf Kolleginnen die „Storchennest – Hebammen-Praxis-Gemeinschaft“ in Aurich und hat sechs Jahre lang im Kreißsaal gearbeitet. Sie hat zwei Töchter auf natürliche Weise geboren. Da mein Gewebe schon einmal so stark gedehnt worden sei, dehne es sich beim zweiten Mal leichter, sagt Alexandra Löschen. Viele hätten deshalb bei der zweiten Geburt weniger und kleinere Geburtsverletzungen.
Ist Angst vor der Geburt normal?
„Deine Angst ist normal“, sagt Hebamme Jule Schuld (31). Gemeinsam mit einer Kollegin betreibt sie eine Hebammenpraxis in Bünde und begleitet Hausgeburten. Auch sie hat ihren Sohn zu Hause geboren. Die meisten werdenden Eltern hätten vor der Entbindung Angst: vor Schmerzen, vor Kontrollverlust, Verletzungen oder der Umstellung. Mit gesunder Aufklärung und Information lasse sich die Furcht in Respekt oder sogar Vorfreude umwandeln. Indem sie viel wissen und sich in der Schwangerschaft gut vorbereiten, könnten Frauen vermeiden, während der Entbindung in den Kreislauf aus extremer Angst, Spannung und Schmerz einzusteigen und wüssten, wie sie da wieder rauskommen.
Was kann man gegen Angst vor der Geburt tun?
Es helfe, sich in der Schwangerschaft über die in der jeweiligen Klinik üblichen Routine-Interventionen zu informieren, sagt Jule Schuld. Viele Kliniken legten bei der Aufnahme grundsätzlich einen venösen Zugang in den Handrücken. Der schmerze eventuell, die Frau bewege sich dadurch vielleicht eingeschränkt oder halte sich mit der Hand nicht mehr fest. Wenn der Zugang schon liege, werde teilweise eher eine Infusion angehängt.
Wissen könne einen Großteil der Angst nehmen, zusammen mit einer guten Vorbereitung in der Schwangerschaft, mit dem Partner und auch für sich selbst. Wisse die Schwangere über die verschiedenen Phasen der Geburt Bescheid und welche Optionen an Schmerzmitteln oder Unterstützung es jeweils gibt, könne sie währenddessen selbst wahrnehmen, wie viel sie schon geschafft habe und welche Möglichkeiten sie hat.
Auch zu üben sich zu entspannen gehöre zu einer guten Vorbereitung dazu. Darüber hinaus empfiehlt Jule Schuld Schwangeren, Geburtsvideos von schönen Geburten anzuschauen und von einem positiven Verlauf auszugehen. Es unterstütze die Gebärende, gute Beispiele im Kopf zu haben, anstatt der Horrorstorys, die Frauen in der Schwangerschaft oft zu hören bekämen.
Warum hat man Angst vor der Geburt?
„Viele haben Angst davor, ausgeliefert zu sein und sich hilflos zu fühlen“, sagt Jule Schuld. Sie wüssten beim ersten Kind nicht, was auf sie zukomme. Es sei eine Fahrt ins Ungewisse. Einige hätten auch Angst davor, ob es allen gut gehe während der Geburt und ob es mit dem Stillen klappe. Davor, zu versagen. Einige wollten unbedingt spontan gebären und denken dann, sie haben versagt, wenn es ein Kaiserschnitt wird. Oder wenn sie unbedingt ohne PDA gebären wollten und dann doch eine brauchen.
Meine erste Geburt war der Horror, nun hab ich Angst vor der zweiten Geburt. Was kann ich tun?
Nach einer negativen Erfahrung sei es wichtig, diese gut zu verarbeiten, sagt Alexandra Löschen. Oftmals helfe es, den Geburtsbericht von der Klinik anzufordern und mit der betreuenden Hebamme durchzugehen, sagt Jule Schuld. So könne die Mutter verstehen, woran es lag, dass die Geburt schwierig verlief, was das Problem gewesen sei. Im Geburtsbericht halten die GeburtshelferInnen fest, was wann passiert ist, an welcher Stelle sie wie gehandelt haben und warum. Das müsse nicht immer übereinstimmen mit dem Eindruck, den die Gebärende hatte, sagt Löschen.
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Die Geburtsberichte seien unterschiedlich ausführlich, je nach Dokumentationssystem der Klinik und wie viel die Hebamme hineingeschrieben habe. Dort steht, wie weit sich der Muttermund wann geöffnet hat sowie der Verlauf. „veratmet die Wehen gut“, „kommt nicht mehr gut mit der Wehenatmung zurecht“, „Schmerzmittel angeboten“, trägt die Hebamme zum Beispiel ein. Manchmal wisse der Partner noch, an welcher Stelle es für die Frau gekippt sei oder womit sie sich unwohl gefühlt habe.
Es war gut, zu verstehen, wie und wodurch meine Geburtsverletzungen entstanden sind. (Anne Neul)
Mir half es, meine Geburtserfahrung mit Alexandra Löschen und Jule Schuld durchzusprechen. „Du musstest dich nicht zerstören, um dein Kind auf die Welt zu bringen“, sagt Löschen. „Dein Kind musste schnell zur Welt kommen, und dabei bist du gerissen.“ Ein feiner, aber wichtiger Unterschied, wird mir klar. Es war gut, zu verstehen, wie und wodurch meine Geburtsverletzungen entstanden sind.
Mit Yoga üben, nicht in die Angst einzusteigen
Damit die zweite Entbindung anders verläuft, empfiehlt Alexandra Löschen neben der Verarbeitung der ersten Geburtserfahrung eine gründliche Geburtsvorbereitung. Die Schwangeren-Yogalehrerin empfiehlt Schwangerschaftsyoga. Dabei lasse sich gut üben, ruhig und intensiv zu atmen in Positionen, die nicht immer bequem sind. Und sich gut zu konzentrieren. Bei der Atmung zu bleiben und nicht in die Angst einzusteigen. Denn eine Gebärende, die sich in ihre Angst hineinsteigert, verkrampft. Und verkrampftes Gewebe reißt eher. Die ganze Geburt kann dann schwieriger verlaufen.
Zwischen den Wehen wanderte ich gedanklich über dem Meer
Es sei wichtig, das Entspannen zu üben, sagt Löschen. Das kann die Frau mithilfe eines bestimmten Duftes, den sie sich in den Kreißsaal mitbringt, mit einer bestimmten Musik oder einem bestimmten Kissen. Etwas, womit sie etwas Gutes assoziiere, sagt Löschen. Gut sei zu üben, ganz bei sich zu sein, sagt Jule Schuld.
Auch Hypno Birthing oder Tiefenentspannung können zu einem entspannteren Verlauf beitragen und der Frau das Gefühl vermitteln, etwas tun zu können. Ich habe in der Schwangerschaft einen Selbsthypnose- oder auch Hypno Birthing-Kurs gemacht. Er hat mir zumindest in der ersten Phase der Geburt gut geholfen.
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Bis der Muttermund 8,5 Zentimeter auf war und wir ins Krankenhaus fuhren. Zwischen den Wehen habe ich mich auf meine Lieblings-Insel La Gomera gedacht. Wie ich dort in den grünen Bergen über dem Meer wandere und auf das blaue Meer hinunterschaue. Erst in der heißen Geburtsphase gelang es mir nicht mehr, mich abzulenken. Das sei auch ok, sagt Löschen.
Wie wollen wir es haben?
Löschen ermutigt die Schwangeren, im Kreißsaal zu sagen, was sie wollen und was nicht. Sich vorher zu fragen: was genau hat mir nicht gefallen? Und sich im Kopf die Geburt so real wie möglich auszumalen, wie sie sein soll. Wo soll sie starten, wann möchte ich losfahren? Wer ist bei mir? Wie ist die Atmosphäre im Kreißsaal? Wie ist die Hebamme, die mich begleitet? Wie soll es sein, wenn das Baby auf der Welt ist? Nehm ich es selber hoch, oder gibt es mir jemand in den Arm? „Dass die Frau wirklich so etwas wie einen inneren Fahrplan hat“, sagt Löschen. Den sie mit ihrem Partner gut bespricht. „Sodass auch er weiß: Wie wollen wir es haben?“
Die eigenen Wünsche in einem Geburtsplan festhalten
Jule Schuld empfiehlt schwangeren Frauen, ihre Wünsche sogar schriftlich festzuhalten. Ein detaillierter Geburtsplan sei ein wichtiges Instrument, die Geburt mitzubestimmen. Darin könne die werdende Mama bei der zweiten Geburt benennen, was beim ersten Mal nicht so gut gelaufen sei und festlegen, was sie anders haben will. Wenn sie zum Beispiel nicht so viel angefasst oder angesprochen werden möchte, die Geburtsposition selbst wählen will, keinen routinemäßigen Dammschnitt möchte oder das Köpfchen des Kindes selbst in Empfang nehmen möchte. Im Internet gebe es entsprechende Vorlagen. Der Plan komme in die Patientenakte.
Wie kann ich mir die Angst nehmen?
„Dass starke Ängste ganz weggehen, ist nicht sehr wahrscheinlich“, sagt Jule Schuld. Es helfe, positive Affirmationen aufzuschreiben: „Mein Baby schafft es super, da durchzukommen. Alles bleibt heile. Wir haben eine schöne Geburt.“ Mit Freude auf die Geburt zuzugehen und sich positiv auszurichten anstatt zu denken: „Oh nein, jetzt kommt die nächste Wehe und das tut mir wieder so weh und vielleicht schaff ich das nicht.“ Die Gewissheit zu haben: ich weiß mich selber zu beruhigen und zu entspannen. Das sei natürlich Übungssache. Es gehe besser und schneller, je öfter ich das übe. Nur einmal ein Buch über Hypno Birthing zu lesen, reiche da nicht aus. Und mich daran zu erinnern und darauf zu vertrauen: mein Körper weiß, was er tut. Wenn wir ihn in Ruhe machen lassen, klappt das in der Regel.
Ich weiß nach dem Gespräch mit den beiden Hebammen, dass ich vor der nächsten Geburt noch mehr das richtige Atmen und Entspannen üben werde. Und mich auch zwischen den Wehen immer wieder darauf besinnen werde, zu entspannen. Weil ich jetzt weiß, wie wichtig das ist. Auch, um Geburtsverletzungen zu vermeiden oder zu minimieren. Ich bin gespannt!