Wenn die Psyche für Rückenschmerzen sorgt
Rückenschmerzen sind eine echte Volkskrankheit, die das Leben vieler Menschen erschwert. Oftmals sind Rückenschmerzen psychosomatisch bedingt. Das bedeutet, dass psychische Probleme der Auslöser für körperliche Schmerzen sein können. Was genau im Körper passiert und wie sich Rückenschmerzen dauerhaft behandeln und vermeiden lassen, erklärt Experte Dr. Christian Peiler.
Der Rücken und die Psyche haben eine komplizierte Beziehung im Körper. Beide wirken stark aufeinander ein – hin und wieder mit unangenehmen Folgen für den Menschen. „Und das in zwei Richtungen“, sagt Dr. Christian Peiler, Leiter des Zentrums für Physiotherapie in Bielefeld.
Chronische Rückenschmerzen können die Psyche belasten und unter anderem Depressionen auslösen. „Unter andauernden Schmerzen leidet die Lebensqualität und das schlägt sich bei vielen Menschen natürlich schnell auf die Psyche nieder“, sagt er. Er rät darum dringend dazu, bei Schmerzen über einen längeren Zeitraum unbedingt einen Arzt oder Physiotherapeuten aufzusuchen, um den Schmerzen auf den Grund zu gehen und sie durch Behandlungen dauerhaft zu lindern.
Stress kann Ursache für Rückenschmerzen sein
Der deutlich häufigere Fall aber ist, dass die Psyche Rückenschmerzen auslöst. „Besonders Stress spielt hier eine große Rolle“, sagt Dr. Peiler. Theoretisch aus gutem Grund. Vor tausenden Jahren hatte die körperliche Antwort auf Stress einen lebensrettenden Charakter, etwa wenn man vor einem Tiger fliehen musste.
Die Stressreaktion sorgte vereinfacht gesagt dafür, dass Hormone, wie Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet wurden, die Muskeln in maximale Alarmbereitschaft versetzt wurden und der Mensch schnell und ausdauernd die Flucht antreten konnte. Gelang diese, stoppte der Körper die Hormonausschüttung, das Herz wurde ruhiger, die Muskeln entspannten sich und der Stress wurde abgebaut.
Fehlender Stressabbau sorgt für Verspannungen
„Heute leiden wir aber unter anderem, dauerhafterem Stress“, sagt Dr. Peiler. Hektik bei der Arbeit, Zukunftsängste oder ganz aktuell die Angst vor einer Corona-Erkrankung sind nur einige Beispiele für Stressarten, die die meisten von uns permanent im Alltag begleiten.
Wenn der Körper im angespannten Modus bleibt, können muskuläre Dysbalancen entstehen.
„Das Problem ist, dass der Körper immer noch wie früher darauf reagiert. Bezogen auf den Rücken also etwa mit erhöhter Muskelspannung“, erklärt der Bielefelder Experte. Anders als früher finde aber der Stressabbau eben nicht mehr unmittelbar z. B. über Bewegung statt, sondern der Körper bleibt im angespannten Modus.
So können sich unter anderem muskuläre Dysbalancen manifestieren, wodurch Folgeprobleme wie Haltungsschäden entstehen. Diese können wiederum weitere Verspannungen auslösen. Ein Teufelskreis beginnt.
Rein körperliche Therapie bei Rückenschmerzen reicht oft nicht
Und dieser Teufelskreis führt sich noch weiter fort. Denn, so Experte Dr. Peiler, durch Behandlungen vom Physiotherapeuten, vom Osteopathen oder Masseur lässt sich meist eine Schmerzreduktion und Verbesserung der Beweglichkeit erzielen, diese hält aber ohne weitere Maßnahmen oft nicht lange an.
Ein ganzheitlicher Ansatz ist wichtig, um die Ursache für den Stress zu finden.
„Natürlich können wir Verspannungen und Blockaden lösen und den Körper erstmal wieder ins Gleichgewicht bringen. Bleibt aber das Ausgangsproblem bestehen, also die psychische Belastung durch Stress, werden die Probleme schnell wieder auftreten. Darum arbeiten wir ganzheitlicher.“
Gemeinsam mit dem Patienten werde bei den Behandlungen versucht, die Ursache für den andauernden Stress zu finden und beispielsweise Techniken zur Stressregulation über Muskelentspannung und Bewegung zu erlernen. In schwierigeren Fällen auch mit der Unterstützung von Psychotherapeuten.
Entspannungstechniken helfen Stress abzubauen
Auch hier zeigen sich die komplexen Zusammenhänge von Rücken und Psyche. Denn neben der psychologischen Ursachenforschung sind auch akute Behandlungen eine notwendige und unabdingbare Hilfe im Kampf gegen Rückenschmerzen. „Wir können beim Patienten sozusagen für den Startschuss sorgen, indem wir seine akuten Schmerzen lindern und ihm so ermöglichen, wirklich etwas an seinem Leben zu verändern.“
Denn feststeht: Bewegung und Stressreduktion sind das beste Mittel gegen psychosomatische Rückenschmerzen. Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung nach Jacobson oder andere Techniken helfen dem Körper, Stress abzubauen. Yoga, Gymnastik, Krafttraining, Joggen oder lange Spaziergänge stärken außerdem gleichzeitig die Muskulatur.
„Am Ende aber muss jeder für sich selbst herausfinden, wobei er am besten entspannt. Das kann auch beim Lesen eines guten Buches sein. Nur um das überhaupt zu merken, muss man erstmal so gut es geht schmerzfrei sein.“
Bei anhaltenden Rückenschmerzen besser zum Arzt
Doch auch wenn Rückenschmerzen oftmals durch ein gesünderes und ausgeglicheneres Leben vermeidbar oder stark reduzierbar sind, rät der Experte trotzdem von Selbstdiagnosen ab. „Wer etwas Schweres gehoben hat und danach Rückenschmerzen hat, der kann natürlich erstmal abwarten, da weiß er ja, wo die Schmerzen herkommen.
Wer aber anhaltend Rückenschmerzen hat, die vielleicht sogar zusätzliche Begleitsymptomatiken wie ausstrahlende Schmerzen oder weitere Beeinträchtigungen mit sich führen, sollte für eine genau Diagnose unbedingt zum Arzt oder Physiotherapeuten gehen. Denn eines, so Dr. Peiler, sei wichtig zu verstehen: „Psychosomatische Rückenschmerzen sind echt und häufig eine Antwort des Körpers auf Alltagsbelastungen. Und diese müssen unbedingt vernünftig behandelt werden, damit Körper und Seele die Chance haben, in Einklang zu kommen.“